In der Europäischen Union liegt der THC-Grenzwert für Nutzhanf derzeit bei 0,3 Prozent. Was auf den ersten Blick wie eine kleine Zahl wirkt, hat enorme Folgen für Landwirte, Züchter und die gesamte Hanfbranche. Der Wert entscheidet darüber, ob eine Pflanze als legaler Nutzhanf gilt oder ob sie in die Kategorie der verbotenen Sorten fällt. Eine neue Umfrage sorgt nun für Aufsehen: Rund 87,5 Prozent der Befragten halten den Grenzwert für zu niedrig. Die Diskussion über eine mögliche Anhebung gewinnt damit neue Dynamik.
Landwirtschaft zwischen Risiko und Unsicherheit
Für die Landwirtschaft bedeutet der niedrige Grenzwert ein hohes Risiko. Hanfpflanzen sind Naturprodukte, deren Inhaltsstoffe von zahlreichen Faktoren abhängen: Bodenqualität, Witterung, Schädlingsdruck oder der Erntezeitpunkt können den THC-Gehalt beeinflussen. Selbst Sorten, die offiziell als „konform“ eingestuft sind, können unter Stressbedingungen plötzlich leicht über die 0,3 Prozent hinausgehen.
Die Folgen sind gravierend. Landwirte laufen Gefahr, dass ihre gesamte Ernte nicht mehr als Nutzhanf anerkannt wird – mit Verlusten bei Fördermitteln, finanziellen Einbußen und in manchen Fällen sogar strafrechtlichen Konsequenzen. Die Unsicherheit schreckt viele Bauern ab, überhaupt in den Hanfanbau einzusteigen. Eine Anhebung des Grenzwerts könnte hier für mehr Sicherheit sorgen und den Ausbau der Hanfflächen in Europa vorantreiben.
Chancen für Züchtung und Vielfalt
Auch aus züchterischer Sicht gilt der derzeitige Grenzwert als Hindernis. Viele traditionelle oder robuste Hanfsorten, die sich im Laufe der Geschichte bewährt haben, weisen von Natur aus leicht erhöhte THC-Werte auf – ohne jemals eine psychoaktive Wirkung zu entfalten. Mit der Grenze von 0,3 Prozent fallen solche Sorten oft durchs Raster.
Eine Lockerung würde Züchtern die Möglichkeit eröffnen, auf ein breiteres genetisches Spektrum zuzugreifen. Das könnte nicht nur den Ertrag und die Qualität verbessern, sondern auch den Anpassungsdruck an den Klimawandel abfedern. Höhere Grenzwerte würden den Zugang zu widerstandsfähigeren Sorten erleichtern, die Trockenheit oder Schädlingsbefall besser überstehen. Damit hätte die Branche mehr Spielraum für Innovation und Nachhaltigkeit.
Blick über die Grenzen: Europa im Vergleich
Ein internationaler Vergleich zeigt, dass die EU mit 0,3 Prozent am unteren Ende liegt. In der Schweiz sind bis zu 1,0 Prozent THC im Nutzhanf erlaubt – ohne dass dies jemals zu Missbrauch oder Problemen im Vollzug geführt hätte. Italien hatte zeitweise eine faktische Toleranzgrenze von 0,6 Prozent, bevor wieder strengere Regeln eingeführt wurden.
Die USA haben zwar ebenfalls 0,3 Prozent als Grenzwert, doch auch dort wird regelmäßig über eine Anhebung diskutiert, um den Landwirten mehr Sicherheit zu geben. Angesichts dieser Beispiele stellt sich die Frage, ob die EU mit ihrer restriktiven Haltung nicht Wettbewerbsnachteile riskiert.
Befürworter und Gegner im Schlagabtausch
Die Befürworter einer Anhebung argumentieren klar: Ein höherer Grenzwert würde Landwirten Rechtssicherheit verschaffen, die Züchtung fördern und Europa im internationalen Wettbewerb stärken. Zudem sei wissenschaftlich belegt, dass selbst ein THC-Gehalt von 1,0 Prozent keine Rauschwirkung hat – der Unterschied zwischen Nutz- und Rauschhanf bleibt also eindeutig.
Die Gegner hingegen warnen vor einer „Aufweichung der Grenze“. Sie befürchten, dass ein höherer Grenzwert den Behörden die Arbeit erschwert und die Kontrolle komplizierter macht. Außerdem sei die gesellschaftliche Akzeptanz für Nutzhanf ohnehin fragil; eine Anhebung könnte als Einladung zum Missbrauch verstanden werden. Besonders konservative Stimmen betonen, dass die 0,3 Prozent einen klaren, eindeutigen Maßstab bieten, der nicht aufgeweicht werden sollte.
Politische Dynamik in der EU
Die politische Diskussion über den THC-Grenzwert ist eng mit der allgemeinen Entwicklung der Hanfpolitik in Europa verknüpft. Die EU-Kommission hat bereits Vorschläge vorgelegt, die Blüten des Nutzhanfs als Agrarprodukt anzuerkennen und damit Landwirten neue Möglichkeiten zu eröffnen. In diesem Zusammenhang könnte auch der Grenzwert wieder stärker in den Fokus rücken.
Das Europäische Parlament hat sich in Teilen bereits offen gezeigt für eine umfassendere Legalisierung aller Pflanzenteile, sofern die THC-Grenze eingehalten wird. Doch wie hoch diese Grenze sein soll, bleibt umstritten. Ein Kompromiss, der sowohl den Landwirten Sicherheit gibt als auch die Kontrollbehörden nicht überlastet, könnte in den kommenden Jahren Realität werden.
Eine Entscheidung mit Signalwirkung
Die Debatte über den THC-Grenzwert ist weit mehr als eine technische Frage. Sie berührt Grundsatzthemen wie Rechtssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und die Rolle von Hanf in einer nachhaltigen Landwirtschaft. Sollte die EU den Grenzwert anheben, wäre das nicht nur ein Signal an die Branche, sondern auch ein Bekenntnis zur Förderung dieser vielseitigen Pflanze.
Die Umfrage, in der 87,5 Prozent den aktuellen Wert für zu niedrig halten, verdeutlicht den Druck aus der Praxis. Ob die Politik diesem Druck nachgibt, hängt von den kommenden Diskussionen in Brüssel ab. Klar ist jedoch schon jetzt: Der Grenzwert von 0,3 Prozent steht zur Debatte – und die Entscheidung darüber wird die Zukunft des Nutzhanfs in Europa entscheidend prägen.
Quellen
- The Talman Group (11. September 2025): Umfrage: 87,5 % halten 0,3 % THC-Grenzwert für zu niedrig
- Europäische Kommission – Landwirtschaftsportal (Stand 2023/2024): Informationen zu Anbauflächen und Politik rund um Nutzhanf
- Seed World Europe (12. September 2025): Europäisches Parlament diskutiert volle Legalisierung aller Nutzhanf-Pflanzenteile
- Tridge News (2025): EU-Vorschlag: Hanf als Agrarprodukt anerkennen