Die moderne Medizin steht bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multipler Sklerose immer noch vor großen Problemen. Heilbare Therapien gibt es nicht – lediglich Behandlungsansätze zur Verlangsamung des Fortschreitens.
Doch internationale Forschungsprojekte liefern nun Hinweise, dass bestimmte Cannabinoide eine neuroprotektive Wirkung entfalten könnten. Insbesondere die Kombination von CBD, CBG und CBC wird dabei als vielversprechend betrachtet. Was heute noch im Labor getestet wird, könnte in Zukunft das therapeutische Spektrum bei Erkrankungen mit bislang begrenzten Optionen entscheidend erweitern.
Was bedeutet „neuroprotektiv“?
Neuroprotektion bezeichnet die Fähigkeit eines Stoffes, Nervenzellen vor Schädigung oder Absterben zu bewahren – sei es durch Entzündungsprozesse, oxidativen Stress, Toxinexposition oder Stoffwechselveränderungen. Eine Vielzahl neurologischer Erkrankungen, darunter Alzheimer, Parkinson, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Multiple Sklerose (MS), ist durch genau solche Mechanismen gekennzeichnet.
Cannabinoide wie Cannabidiol (CBD), Cannabigerol (CBG) und Cannabichromen (CBC) wirken nicht nur auf das Endocannabinoidsystem, sondern beeinflussen auch Entzündungsbotenstoffe, antioxidative Enzyme und zelluläre Stressreaktionen – zentrale Schaltstellen im neurodegenerativen Geschehen.
CBD: Entzündungshemmend und antioxidativ
Zahlreiche Studien haben belegt, dass CBD eine entzündungshemmende Wirkung besitzt und in Tiermodellen mit Alzheimer- oder Parkinson-ähnlicher Symptomatik neuroprotektive Effekte zeigen kann. So reduziert CBD die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine und hemmt die Aktivierung von Mikroglia – den Immunzellen im Gehirn, die bei chronischen Entzündungen eine zentrale Rolle spielen.
Darüber hinaus wirkt CBD als Antioxidans und schützt Nervenzellen vor dem Angriff freier Radikale. Diese Eigenschaften machen Cannabidiol zu einem idealen Kandidaten in der Frühphase neurodegenerativer Prozesse, bei denen oxidativer Stress eine Schlüsselfunktion einnimmt.
CBG: Der „Mutterstoff“ mit therapeutischem Potenzial
CBG, die sogenannte „Mutter aller Cannabinoide“, wird im Stoffwechselweg der Pflanze zu THC, CBD und CBC weiterverarbeitet. In seiner reinen Form wirkt es leicht psychoaktiv, jedoch vor allem antientzündlich, antibakteriell und neuroprotektiv.
Eine in 2024 veröffentlichte präklinische Studie an einem Parkinson-Modell konnte zeigen, dass CBG die Degeneration dopaminerger Neuronen verzögert – ein zentrales Merkmal der Parkinson-Krankheit. Zudem moduliert es laut aktueller Forschung bestimmte Rezeptoren, die an der Schmerz- und Bewegungssteuerung beteiligt sind, ohne die Nebenwirkungen klassischer Parkinson-Medikamente auszulösen.
CBC: Weniger bekannt, aber vielversprechend
Cannabichromen (CBC) steht bisher weniger im Rampenlicht, gewinnt jedoch an Aufmerksamkeit. Es zeigt in präklinischen Studien eine wachstumsfördernde Wirkung auf neurale Stammzellen und fördert die Differenzierung von Nervenzellen. Darüber hinaus besitzt CBC entzündungshemmende Eigenschaften und verstärkt – so die Vermutung – die Wirkung anderer Cannabinoide durch den sogenannten Entourage-Effekt.
Vor allem in der Kombination mit CBD und CBG ergibt sich ein vielversprechendes Zusammenspiel, das neuroprotektive Signalwege in unterschiedlicher Weise modulieren kann.
Alzheimer und Demenz: Früherkennung als Schlüssel
In der Alzheimer-Forschung wird derzeit intensiv daran gearbeitet, Cannabinoide als ergänzende Therapie in frühen Stadien zu testen. Ziel ist es, die Ablagerung von Beta-Amyloid zu verhindern oder zu verlangsamen – ein toxisches Protein, das für die Schädigung von Nervenzellen verantwortlich gemacht wird.
Mehrere Studien haben gezeigt, dass CBD die Entstehung solcher Ablagerungen hemmen kann. In Tierversuchen verbesserten sich zudem kognitive Leistungen und Gedächtnisfunktionen – ein erster Hoffnungsschimmer für die spätere Anwendung beim Menschen.
Multiple Sklerose: Schutz vor weiterer Entzündung
Bei MS, einer chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, stehen bereits zugelassene Cannabis-Medikamente zur Verfügung – etwa Nabiximols (Sativex). Doch die Forschung geht weiter: Vor allem die Kombination nicht-psychoaktiver Cannabinoide rückt in den Fokus, da sie das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen reduziert.
Neue Untersuchungen aus Kanada und Israel deuten darauf hin, dass CBD und CBG gemeinsam das Fortschreiten der MS-Läsionen im Gehirn bremsen und die Remyelinisierung, also die Regeneration zerstörter Nervenfasern, begünstigen könnten.
Parkinson: Reduktion von Tremor und Schutz der Neuronen
Parkinson gehört zu den neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen die Forschung an Cannabinoiden besonders intensiv betrieben wird. Patienten berichten häufig von einer Verbesserung motorischer Symptome, insbesondere Zittern (Tremor) und Muskelsteifheit.
Vielversprechend ist auch die Kombinationstherapie mit klassischen Parkinsonmedikamenten. Erste klinische Studien prüfen derzeit, ob Cannabinoide nicht nur Symptome lindern, sondern auch das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen können.
Internationale Studienlage: Dynamik mit Luft nach oben
Zwar gibt es viele präklinische und tierexperimentelle Studien, doch die Zahl randomisierter, placebokontrollierter Studien am Menschen ist noch überschaubar. Vorreiterländer wie Israel, Kanada, die Schweiz und zunehmend auch Deutschland bauen derzeit Forschungsnetzwerke auf, um systematische Daten zu generieren.
Gerade in Kombination mit modernen Darreichungsformen – etwa liposomalen Präparaten oder Sublingualsprays – könnte die Forschung bald neue Maßstäbe setzen.
Ein Ausblick
Trotz aller positiven Ansätze bleibt der Weg in die klinische Routineanwendung noch lang. Neben regulatorischen Hürden und fehlender Zulassung fehlen oft die finanziellen Mittel für großangelegte Studien. Gleichzeitig ist der Bedarf hoch: Die Zahl der Menschen mit Alzheimer, Parkinson oder MS steigt weltweit rasant.
Umso wichtiger ist es, das therapeutische Potenzial der Cannabinoide weiterzuerforschen – und dabei auch seltene Vertreter wie CBC oder CBG ernst zu nehmen. Die Vision einer cannabinoidbasierten Neuroprotektion ist keine ferne Utopie mehr, sondern ein realistischer Horizont.