Wenn mich jemand fragt, was genau ein Cannabis-Koch tut, dann lächle ich meistens erst einmal. Denn ehrlich gesagt – es ist alles. Es ist Botanik, Chemie, Aromenkunde, Design, Psychologie. Und am Ende ist es vor allem eins: Handwerk mit Gefühl.
Für mich beginnt diese Arbeit nicht erst am Herd. Manchmal bekomme ich nicht nur getrocknete Blüten oder Extrakte, sondern Samen. Dann ziehe ich die Pflanze selbst auf – organisch, in lebendiger Erde, mit Achtung vor ihrem natürlichen Rhythmus. Ich beobachte ihr Wachstum, lese ihre Bedürfnisse, ernte zur richtigen Zeit. Denn das beste Gericht beginnt nicht mit der Rezeptidee – es beginnt mit einer lebendigen Pflanze.
Cannabis ist kein Rohstoff wie jeder andere. Es ist aktives, sensibles Material. Sein Aroma, seine Wirkung und seine Struktur hängen davon ab, wie es angebaut wurde, wie es getrocknet, fermentiert und gelagert wurde. Und all das beeinflusst, wie es später auf dem Teller spricht.
1. Der Auftrag: Eine Sorte, ein Erlebnis
Oft beginnt alles mit einer Sorte. Jemand ruft mich an – ein Veranstalter, ein Boutique-Restaurant, manchmal auch eine Cannabis-Marke. „Wir wollen die Sorte Northern Lights kulinarisch erlebbar machen.“ Ich bekomme Proben, ein paar Notizen, manchmal auch nichts außer einem Namen. Und dann beginnt das, was ich die erste Begegnung nenne.
Wenn es sich anbietet, ziehe ich mir meine eigene Charge dieser Sorte heran – unter optimalen Bedingungen, lebendig, bewusst. Für mich ist das mehr als Zutatensicherheit – es ist ein ethischer Anspruch. Ich nehme mir Zeit. Breite die Blüten aus. Betrachte sie im Licht. Wie sie glitzern, wie das Grün sich mit Violett mischt, wie feine Harzkristalle sich an den Spitzen sammeln. Ich zerreibe vorsichtig ein Stückchen zwischen den Fingern, halte es unter die Nase – und warte. Es ist ein sehr stiller Moment.
Die Aromen steigen auf. Ich versuche nicht sofort, sie zu benennen. Ich lasse sie erst wirken. Wie Musik, bevor man die Töne analysiert. Erst dann kommt das Technische. Ich untersuche das Terpenprofil – Limonen, Myrcen, Caryophyllen? Was davon dominiert? Welche Noten treten zuerst auf, welche bleiben? Und natürlich: Wie wirkt die Sorte? Körperlich entspannend? Mental fokussierend? Eher schwer oder spielerisch leicht? Denn meine Aufgabe ist nicht nur, den Geschmack zu übersetzen. Ich soll das Wesen der Sorte auf den Teller bringen.

2. Die Gestaltung: Aromen im Spiel
Ich setze mich mit einem Notizbuch an den Tisch. Auf einer Seite: die Cannabissorte. Auf der anderen: die Zutatenwelt. Jetzt geht es um Paarungen – und um Kontraste. Es ist ein bisschen wie Komponieren. Ich frage mich: Welche Aromen wollen miteinander tanzen? Welche reiben sich aneinander, ohne sich zu verletzen?
Ein süßliches Terpenprofil wie bei Mango Kush etwa lädt ein zu üppigen, runden Aromen – Kokosmilch, Passionsfrucht, Vanille. Die Süße fließt, verbindet sich. Doch wenn ich stattdessen ein wenig Säure hineinwerfe – etwa eine Ferment-Note oder ein Zitrusgel – dann entsteht Spannung. Die Süße wird definierter. Das Gericht bekommt Kontur. Kontraste sind keine Störung. Sie sind Orientierung. Sie sagen dem Gaumen, wohin er schauen soll.
Ich liebe diese Balanceakte. Eine erdige, fast holzige Indica braucht etwas Sanftes – vielleicht ein Pilz-Ragout mit geröstetem Kürbis. Doch manchmal füge ich etwas Scharfes hinzu – einen Hauch Chiliöl – um die Tiefe der Pflanze zu betonen, wie einen dunklen Akkord in einem Musikstück. Auch die Texturen sind Teil dieser Harmonie. Cremiges muss gebrochen werden – vielleicht durch Hanfkrokant, vielleicht durch ein knuspriges Element, etwas Kaltes auf Warmem. Der Mund will nicht nur schmecken. Er will erleben.
Und dann, ganz am Ende, die Wirkung. Ich dosiere sehr fein. Zwei bis fünf Milligramm THC pro Gang – manchmal weniger. Es geht nicht um den Rausch. Es geht um das Bewusstsein. Die Wirkung soll tragen, nicht drücken. Sie soll begleiten wie ein guter Wein.
3. Die Präsentation: Eine Bühne für die Pflanze
Ein gutes Gericht spricht – noch bevor es gegessen wird. Ich frage mich also: Welche Bühne braucht diese Sorte? Die Farbe der Blüte wird oft zur Leitlinie. Violette Cannabissorten führen mich zu Rote-Bete-Schäumen, zu blauschwarzen Beeren, zu Lavendelöl. Ein zitronengelber Sativa-Hybrid hingegen schreit nach hellen Tönen, nach Glasuren, nach Licht.
Ich spiele auch mit Dämpfen, Terpen-Nebeln, Aromaglocken. Einmal habe ich eine Vorspeise unter einer Glashaube serviert – darunter: ein Hauch Kiefernrauch, der beim Öffnen aufstieg. Die Gäste rochen zuerst den Wald. Dann sahen sie das Gericht. Dann kam der erste Bissen. Cannabis ist multisensorisch. Warum sollte das Essen es nicht auch sein?

4. Aus der Praxis – und aus der Vorstellung
Ein Menü, an das ich mich besonders gern erinnere, entstand aus der Sorte Polar Gelato – ein eleganter Hybrid von Silent Seeds, der für mich die Leichtigkeit von Zitronensorbet mit der Tiefe eines alten Cognacs verbindet. Ihr Aroma ist vielschichtig: eine klare Frische von Zitrus und Vanille, getragen von einer cremigen, fast gelato-artigen Weichheit. Auch die Wirkung war bemerkenswert: sanft fokussierend, wach, aber ohne Nervosität. Wie ein stiller Sonnenaufgang im Kopf. Ich habe mich für ein leichtes, aber aromatisch tiefes Drei-Gänge-Menü entschieden:
Vorspeise: Eine karamellisierte Zwiebel-Tarte Tatin mit Fourme d’Ambert, pochierten Birnenperlen in Vanille und weißem Balsamico, dazu geröstete Walnüsse. Ein Zusammenspiel von herber Süße, salziger Tiefe und fruchtiger Säure – getragen von der Wärme und Erdung der Sorte.
Hauptgang: Carpaccio von bunter Bete mit Ziegenkäse-Nocken, Feldsalat, gerösteten Pinienkernen, Orangenabrieb und einem Dressing aus infundiertem Hanfsamenöl und Zitronenterpenen. Leicht, klar, farbenfroh – ein Spiegel der mentalen Frische von Polar Gelato.
Dessert: Eine klassische Zitronentarte mit weicher Baiserhaube, leicht abgeflämmt. Der Boden: knusprig, nussig. Die Füllung: zart, hell, mit einer Prise Bergsalz. Der letzte Gang greift die Zitrusnote der Sorte auf – nicht laut, sondern elegant leuchtend.
Jeder Gang war fein mikro-dosiert – spürbar, aber subtil. Die Gäste beschrieben das Erlebnis wie „unter einem leichten Filter aus Gold“. Mehr braucht es nicht. Und manchmal, wenn ich neue Sorten durch meine Hände gehen lasse, entstehen Menüs auch nur in Gedanken – wie kleine Kompositionen, die noch auf ihren Auftritt warten. Ich könnte mir zum Beispiel ein wundervolles Menü zur Sorte Pineapple Express vorstellen – einem lebhaften, tropisch duftenden Sativa-Hybrid, der sofort an Sommerabende, offene Fenster und kreative Gespräche erinnert.
Vorspeise: Wolfsbarsch-Ceviche mit Ananas-Minz-Sorbet und einem Dressing aus Terpenöl (Limonen und Pinene).
Frisch, klar, elektrisierend – wie ein erster Hauch tropischer Luft.
Hauptgang: Hähnchenbrust sous-vide mit Lavendel-Honig-Glasur, Süßkartoffelpüree, dazu ein knuspriger Terpen-Cracker.
Warm und florale Tiefe – eine leichte Umarmung im Mittelteil des Menüs.
Dessert: Zitronen-Lavendel-Crème mit Mikro-Dosierung THC (3 mg), serviert mit kandierten Zitronenzesten und einem Hauch weißem Rauch unter Glasglocke. Ein Finale zwischen Licht und Äther.
Ich stelle mir das Menü als Einladung zum kreativen Abheben vor – nicht zu hoch, nicht zu schnell. Nur so, dass man den Boden noch sieht, aber die Gedanken schon durch die Baumkronen fliegen.

5. Fazit: Zwischen Pflanze und Mensch
Die Arbeit als Cannabis-Koch ist wie ein Gespräch mit der Natur. Ich versuche, etwas zu hören, was nicht laut spricht. Und es so weiterzugeben, dass andere es fühlen können. Cannabis ist nicht nur Rausch. Es ist Duft, Wirkung, Erinnerung. Es ist eine Pflanze mit Charakter. Und meine Aufgabe ist es, diesen Charakter sichtbar – und schmeckbar – zu machen.
Doch manchmal endet dieser Dialog nicht auf dem Teller. Für mich ist die Pflanze ein ganzheitliches Wesen – und ich versuche, jede ihrer Facetten zu verstehen und zu nutzen. Aus ihren Samen presse ich Öl, vermahle sie zu nussigem, eiweißreichem Mehl. Die Wurzeln lege ich in Schnaps ein – für Tinkturen, bitter, erdig, tief. Die Stängel trockne ich, zerkleinere sie und verwende sie zum Räuchern – ein trockener, grasiger Duft, der die Vollmundigkeit von Umami trägt.
Auch Sorten mit hohem CBD-Gehalt finden ihren Platz in meiner Küche – nicht wegen der berauschenden Wirkung, sondern wegen ihrer inneren Ruhe. Sie strukturieren, beruhigen, laden zur Achtsamkeit ein. Wirkung ist für mich nie nur chemisch. Sie ist immer auch emotional, atmosphärisch. So wird aus einer einzigen Pflanze ein ganzer Kanon an Möglichkeiten – nicht nur ein Gericht, sondern eine Erzählung. Ich verschwende nichts. Ich lausche. Ich übersetze. Ich koche. Manchmal denke ich, dass ich weniger koche und vielmehr die Geschichte einer Pflanze erzähle – eine Geschichte, die durch Geschmack, Duft und Gefühl in den Raum tritt und sich sanft in die Sinne der Menschen einprägt.