Widerstand gegen geplante Verschärfungen
In der deutschen Drogenpolitik bahnt sich ein Konflikt an. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) plant weitreichende Einschränkungen für den Zugang zu medizinischem Cannabis. Was auf den ersten Blick nach Regulierung und Sicherheit klingt, könnte in der Praxis die Versorgung von Hunderttausenden Patienten gefährden.
Mehr als 57.000 Menschen haben bereits die Petition „MedCanG“ (Medizinisches Cannabisgesetz) unterzeichnet. Hinter der Initiative stehen führende Vertreter der Branche, darunter David Henn, CEO des Kölner Unternehmens Cannamedical. „Wir brauchen ein Gesetz, das die Versorgung mit medizinischem Cannabis verbessert – nicht verschlechtert“, erklärt Henn.
Videorezept soll abgeschafft werden
Der Kern der geplanten Reform: Die Möglichkeit, medizinisches Cannabis per Online-Videosprechstunde zu verschreiben, soll abgeschafft werden. Künftig soll die Verschreibung nur nach einem persönlichen Erstkontakt in einer Arztpraxis erfolgen – und die Abgabe ausschließlich in der Apotheke stattfinden.
Bislang war es für Patienten vergleichsweise einfach, ein Rezept zu erhalten: Ein kurzer Videokontakt mit einem Arzt reichte aus, um das Medikament nach Hause geliefert zu bekommen. Einige Anbieter hatten dieses System intensiv beworben – zu intensiv, wie das Ministerium findet. Warken will dem nun einen Riegel vorschieben.
Sorge vor Versorgungslücken
Für viele Patienten könnte das gravierende Folgen haben. „Vor allem Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder in ländlichen Regionen werden darunter leiden“, warnt Cannamedical-Chef Henn. Dort, wo Ärztinnen und Apotheker ohnehin rar sind, drohten Versorgungslücken.
Auch wirtschaftlich hätte die Reform massive Auswirkungen. Finn Age Hänsel, Gründer der Sanity Group, rechnet vor: „Wenn der Entwurf in dieser Form umgesetzt wird, bricht der Markt für Medizinalcannabis um rund 50 Prozent ein.“ Die junge Branche, die in den letzten Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen hat, sieht sich dadurch in ihrer Existenz bedroht.
Nach Schätzungen liegt der Jahresumsatz der Branche in Deutschland bei rund einer Milliarde Euro – ein Markt, der durch die Regulierung deutlich schrumpfen könnte.
Hoffnung auf SPD und Bundestag
Die kommenden Wochen werden entscheidend. Der Gesetzentwurf wird nun im Bundestag diskutiert, und die Branche setzt große Hoffnung auf die SPD als Koalitionspartner. Deren Position ist bislang zurückhaltend, doch viele Patienteninitiativen appellieren an sozialpolitische Verantwortung.
Philipp Schetter, CEO des Berliner Start-ups Cantourage, äußerte sich im Podcast „Chefgespräch“ der WirtschaftsWoche vorsichtig optimistisch. Er hält die Abgabe über Apotheken grundsätzlich für sinnvoll, betont aber: „Ob die Beratung wirklich physisch vor Ort stattfinden muss oder digital erfolgen kann, sollte differenziert diskutiert werden.“
Zwischen Vertrauen und Misstrauen
In der Branche ist man sich einig: Ja, es gibt schwarze Schafe. Einige Anbieter haben versucht, den legalen medizinischen Markt mit dem Freizeitkonsum zu vermischen. Doch die geplanten Restriktionen würden die gesamte Versorgung treffen – auch die vieler chronisch Kranker, die auf Cannabis angewiesen sind, um Schmerzen, Spastiken oder Schlafstörungen zu lindern.
Seit der Legalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2017 hat sich ein dynamischer Markt entwickelt. Zahlreiche Unternehmen kultivieren, importieren und vertreiben Medizinalblüten und Extrakte – stets unter ärztlicher Kontrolle und gesetzlicher Aufsicht. Viele Patienten berichten von deutlich verbesserter Lebensqualität, geringerer Abhängigkeit von Opioiden und stabileren Symptomen.
Nun droht dieser Fortschritt ins Stocken zu geraten. Während die Ministerin auf Regulierung pocht, befürchten Ärzte, Patienten und Unternehmen, dass die bürokratischen Hürden das Gegenteil bewirken: weniger Versorgungssicherheit, weniger Vertrauen und mehr Schwarzmarktaktivität.
Rückschritt statt Fortschritt?
Was als Versuch begonnen hat, Missbrauch zu verhindern, könnte sich zu einem Rückschritt in der Versorgung entwickeln. Während andere Länder den Zugang zu medizinischem Cannabis vereinfachen, droht Deutschland, den eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen.
Die Branche fordert daher Nachbesserungen: klare Richtlinien, aber mit Augenmaß – und eine Drogenpolitik, die medizinische Notwendigkeit und Patientenschutz in Einklang bringt.























