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Viele Patienten sind auf eine dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen. Dies bringt jedoch erhebliche Probleme mit sich. Nebenwirkungen, Toleranzentwicklung sowie Suchtgefahr sind gängige Begleiterscheinungen bei den aktuell verfügbaren Schmerzmitteln. Cannabis ist eine sehr effektive Alternative bei einigen Formen von Schmerzen. Jedoch möchte nicht jeder eine psychoaktive Wirkung im Alltag haben.
Für einige ist Cannabis aufgrund psychotischer Vorerkrankungen unter Umständen auch nicht geeignet. Nun wurde von einem US-Forscherteam ein neues synthetisches Cannabinoid entwickelt, welches die schmerzstillenden Wirkungen von Cannabis hat, ohne psychoaktive Wirkung und ohne Entwicklung einer Toleranz. Zwar sind Studien am Menschen noch ausständig, jedoch könnte der neuartige Wirkungsmechanismus einen Meilenstein in der Schmerzmedizin darstellen.
Wirksam am CB1-Rezeptor
Bei VIP36 handelt es sich um ein typisches CB1-Cannabinoid, bei dem jedoch einige Modifikationen vorgenommen wurden. VIP36 bleibt in den peripheren Bereichen des Körpers und durchdringt im Gegensatz zu THC nicht die Blut-Hirn-Schranke. Dies hat zur Folge, dass zwar eine schmerzstillende Wirkung erreicht wird, ohne jedoch eine psychoaktive Wirkung auszulösen. Nebenbei erwähnt stellt sich jedoch die Frage, warum auch heute noch eine psychoaktive Wirkung pauschal als Nebenwirkung bezeichnet wird. Dies ist eine Folge der jahrzehntelangen Prohibition, die nur schwierig aus den Köpfen herauszubekommen ist.
Natürlich ist es schon richtig, dass es Indikationen im Alltag gibt, bei denen man tatsächlich keine psychoaktive Wirkung haben möchte. Auch das altbekannte Problem von Cannabispatienten in Verkehrskontrollen kann auf diese Weise behoben werden. Tritt keine berauschende Wirkung auf und handelt es sich nicht um ein mit THC verwandtes Cannabinoid, sind demnach keine Schikanen mit dem Führerschein zu erwarten. Eine weitere Besonderheit von VIP36 ist, dass dieses Cannabinoid keinen Anstieg der Toleranz verursacht. Dies ist bei täglicher Einnahme von großer Bedeutung. Erreicht wurde dieser Effekt dadurch, indem VIP36 in einer anderen Weise am CB1-Rezeptor andockt, als bisher bekannte Cannabinoide.
VIP36 nutzt eine bestimmte Bindungsstelle am CB1-Rezeptor, die durch andere Cannabinoide nicht erreicht werden kann. Die exakten chemischen Spezifikationen von VIP36 wurden bisher nicht veröffentlicht. Eine Strukturformel lässt sich zu dieser Substanz aktuell nicht finden. Bekannt ist bislang, dass es sich um ein Derivat des synthetischen Cannabinoids MDMB-Fubinaca handelt. Dieses Cannabinoid ist eigentlich als relativ toxische Substanz aus Spice-Produkten bekannt, doch mit einer entsprechenden Modifikation konnte ein weitgehend ungiftiger Verwandter geschaffen werden.
Dies ist auch der eigentliche Sinn von synthetischen Cannabinoiden. Das sind Forschungschemikalien, welche dazu dienen, Prozesse im Endocannabinoidsystem besser zu verstehen. Dass diese Substanzen in unbekannter Dosierung im Freizeitkonsum gelandet sind, ist ausschließlich der Verbotspolitik geschuldet.
Mithilfe von Computermodellen entwickelt
Bei der Entwicklung dieses Cannabinoids modellierten die Forscher den CB1-Rezeptor in einer Software. Auf diese Weise wurde eine Reihe von Cannabinoiden in Simulationen untersucht, um die Stellen am Rezeptor feststellen zu können, an denen sie andocken. Das Ziel war es, ein Cannabinoid so zu modifizieren, dass es an der erwähnten neuartigen Bindungsstelle andocken kann.
Im Anschluss wurden die Vorhersagen aus der Simulation in Zellkulturen getestet. Es zeigte sich, dass VIP36 genau die in der Software vorhergesagten Bindungseigenschaften aufwies. Der Nachweis erfolgte mittels Kryoelektronenmikroskopie. Dabei wird eine Probe zu amorphem Eis verwandelt, wodurch bestimmte molekularbiologische Prozesse effizient beobachtet werden können.
Klinische Studien noch ausständig
Die therapeutisch relevanten Effekte wurden bislang durch Beobachtungen an Mäusen nachgewiesen. Klinische Studien am Menschen existieren aktuell noch nicht. Die aktuellen Forschungsergebnisse sind aber bereits sehr vielversprechend. Bei Mäusen konnte eine lang anhaltende Wirkung, ohne Ausbildung einer Toleranz beobachtet werden. Das Cannabinoid scheint laut aktuellem Wissensstand sehr verträglich zu sein. Nebenwirkungen treten erst bei der 100-fachen therapeutischen Dosis auf. Geplant ist, dieses Medikament zukünftig beim Menschen gegen Migräne und neuropathische Schmerzen einzusetzen.
Forscher gehen davon aus, dass dieses Cannabinoid eine Antwort auf die aktuell in den USA auftretende Opioid-Epidemie sein könnte. Man geht davon aus, dass bis zu 25 % der Erwachsenen US-Amerikaner an chronischen Schmerzen leiden. Viele Patienten kamen erstmals durch die Verschreibung von Opiaten in einen Teufelskreis der Abhängigkeit. Neuartige Cannabinoide wie VIP36 könnten zumindest bei bestimmten Formen von Schmerzen eine echte Alternative ohne Suchtgefahr darstellen.