Cannabis heilt, was Medizin nicht konnte – Das Ehepaar hinter „Wir verdampfen Cannabis“ im Porträt
Was tun, wenn der eigene Körper über Jahre hinweg versagt, Ärzte keine Lösungen mehr haben und die Lebensqualität gegen null tendiert? Für Attila und Renata, das Ehepaar hinter dem Social-Media-Projekt „Wir verdampfen Cannabis“, war die Antwort klar: Sie fanden Rettung in einer Therapie, die für viele noch immer mit Vorurteilen behaftet ist – medizinischem Cannabis. Heute erzählen sie nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern helfen auch anderen, den Zugang zur Pflanze als Medizin zu finden.
Dieser Artikel basiert auf einer Folge von Hanfluenza – der Cannabis-Podcast, präsentiert von Mila, Lars und Julian. In der Episode berichten Attila und Renata von „Wir verdampfen Cannabis“ offen über ihre bewegende Reise mit medizinischem Cannabis. Besonders eindrucksvoll: „Ich habe da jetzt elf, zwölf Jahre gelitten und habe es geschafft, in sechs Monaten das in den Griff zu bekommen – und weitere sechs Monate später sogar 60 Kilogramm abzunehmen“, erzählt Attila. Wie die beiden zurück ins Leben fanden und heute anderen Menschen helfen, erfährst du im folgenden Beitrag.
Jahrelanges Leiden ohne Aussicht auf Besserung
Attilas Geschichte beginnt 2011. Damals erkrankte er an einem Reizdarmsyndrom mit chronischen Entzündungen – unter anderem Divertikulitis. Die Folge waren jahrelange Krämpfe, Schmerzen und Einschränkungen im Alltag. Konventionelle Therapien wie Antibiotika, Schmerzmittel und wiederholte Darmspiegelungen brachten keine Linderung. Stattdessen verschlechterte sich sein Zustand zusehends.
Die körperlichen Beschwerden führten in eine Depression, begleitet von starker Gewichtszunahme. Mit 150 Kilogramm war Attila nicht mehr in der Lage, seinen Alltag zu bewältigen oder einer Arbeit nachzugehen. Der Rückzug ins Private wurde zur Routine – bis zu acht Stunden täglich verbrachte er auf der Toilette.
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Der Wendepunkt: Hilfe aus der Community
2020 war der Tiefpunkt erreicht. In seiner Verzweiflung wandte sich Attila an eine Facebook-Gruppe und bat um Hilfe. Ein Mitglied empfahl ihm einen cannabisfreundlichen Arzt in Ulm – die Therapie mit medizinischem Cannabis begann. Und brachte binnen eines Tages eine Wende, die selbst Attila nicht für möglich gehalten hatte: „Ich konnte plötzlich wieder essen – nach Wochen voller Schmerzen und Blutungen.“
Von diesem Moment an ging es bergauf. Die Krämpfe wurden weniger, der Darm beruhigte sich, das Gewicht begann zu sinken – innerhalb eines Jahres verlor Attila 60 Kilogramm. „Cannabis hat mir das Leben gerettet“, sagt er rückblickend.
Vom Betroffenen zum Berater
Was als letzter Ausweg begann, wurde zum Beruf. Attila ließ sich über die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) zertifizieren und arbeitet heute als Berater für Medizinal-Cannabis-Therapien. Er hilft Patientinnen und Patienten bei der Auswahl passender Sorten, beim Kontakt zu Ärztinnen und Apotheken und begleitet teilweise sogar zu den ersten Arztgesprächen.
Über ihren gemeinsamen Kanal „Wir verdampfen Cannabis“ geben Attila und Renata Einblicke in ihre Erfahrungen, beantworten Fragen und bauen Vorurteile ab. Über 5000 Menschen haben sie bereits beraten – viele davon sind heute selbst Patientinnen und Patienten.
Renatas Weg: Trauma, Depression, Cannabis
Auch Renata, Mutter von drei Söhnen, ist Cannabis-Patientin – ebenfalls seit 2020. Ihre Geschichte beginnt noch früher. In ihrer Kindheit erlebte sie sexuellen Missbrauch in der Familie, entwickelte früh Schlafstörungen, ein verzerrtes Selbstbild und später eine posttraumatische Belastungsstörung. Trotz schwieriger familiärer Verhältnisse arbeitete sie viele Jahre erfolgreich in der Gastronomie – aber psychisch war sie oft am Limit.
Die Cannabis-Therapie ermöglichte ihr, stabiler und achtsamer mit sich selbst umzugehen. „Ich nehme keine Tabletten mehr – nur noch Cannabis, abgestimmt auf meine aktuelle Verfassung“, sagt sie. Dank der Erfahrung ihres Mannes findet sie immer die passende Sorte – beruhigend, aktivierend oder ausgleichend.
Familienleben mit medizinischem Cannabis
Attila und Renata sind nicht nur Ehepartner, sondern auch Eltern von drei Kindern im Alter von acht, neun und zwölf Jahren. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Therapie im Familienalltag ist ihnen besonders wichtig. Anfangs war die Unsicherheit groß – darf man das offen zeigen? Wie spricht man mit den Kindern darüber?
Heute ist die Antwort klar: mit Offenheit. Die Kinder wissen, warum ihre Eltern Cannabis nutzen, wie es wirkt und wie es eingenommen wird. „Wir verdampfen ausschließlich“, erklärt Attila. Geraucht wird nicht – aus gesundheitlichen und pädagogischen Gründen. Die beiden nutzen Vaporizer, um die Wirkstoffe effizient und schonend zu inhalieren – ohne Mischkonsum, ohne Nikotin.
Verdampfen statt rauchen – auch musikalisch
Aus ihrer Überzeugung wurde ein Projekt: „Wir verdampfen Cannabis“ ist heute mehr als nur ein Kanal. Es ist eine Haltung – und sogar ein Song. Gemeinsam mit einem befreundeten Künstler veröffentlichten Attila und Renata das Musikvideo „Verdampfen statt rauchen“, das auf humorvolle Weise für bewussten Konsum und politische Entstigmatisierung wirbt.
Die beiden sind überzeugt: Verdampfen ist nicht nur gesundheitlich sinnvoller, sondern auch effizienter. Während sie früher bis zu sechs Gramm pro Tag konsumierten, kommen sie heute mit rund einem Gramm pro Person aus – ohne Wirkungsverlust.
Aufklärung, die ankommt – auch in anderen Sprachen
Der Erfolg ihrer Aufklärung hat die beiden ermutigt, weiterzudenken. Renata möchte in Zukunft gezielt Frauen ansprechen – insbesondere in der russischen Community. Attila plant, mit seinen türkischen Wurzeln Menschen mit Sprachbarrieren zu erreichen, die sich bislang nicht mit dem Thema Cannabis auseinandersetzen konnten. Die Vision: Barrieren abbauen, Vertrauen schaffen, aufklären.
Gerade in konservativen Communities sei das Thema noch immer tabuisiert – eine Frau, die offen über Cannabismedikation spricht, ist dort keine Selbstverständlichkeit. „Aber genau deswegen müssen wir es tun“, sagt Renata.
Gegen Stigmatisierung – für eine ehrliche Aufklärung
Beide berichten, wie tief die Stigmatisierung sitzt – selbst bei sich selbst. Anfangs versteckten sie den Vaporizer auf dem Balkon, schwiegen gegenüber Lehrkräften und Eltern anderer Kinder. Heute sprechen sie offen über ihre Therapie – auch mit Polizisten, Politikern und Unbeteiligten. Und stellen fest: Je offener sie sind, desto größer ist das Verständnis.
„Wenn ich mich selbst nicht stigmatisiere, öffnet sich auch mein Gegenüber“, sagt Attila. Genau diesen offenen Dialog wünschen sich die beiden auch für die Gesellschaft.
Cannabis als Chance, nicht als Makel
Die Geschichten von Renata und Attila zeigen, was Cannabis als Medizin bewirken kann – und wie wichtig es ist, Patientinnen und Patienten ernst zu nehmen. Die Pflanze hat ihnen nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Lebensfreude zurückgebracht. Heute helfen sie anderen, den gleichen Weg zu gehen – mit Erfahrung, Einfühlungsvermögen und echtem Engagement.
Ihr Ziel ist klar: Aufklärung auf Augenhöhe, Stigmata abbauen und ein neues Verständnis für Cannabis in die Gesellschaft tragen. Und dabei beweisen sie, dass therapeutischer Konsum nichts mit Klischees zu tun hat – sondern mit Lebensqualität.