Während die Funktionsweise der klassischen Cannabinoidrezeptoren und Endocannabinoide bereits sehr gut erforscht ist, gibt es in anderen Bereichen des Endocannabinoidsystems noch Nachholbedarf. Forscher konnten feststellen, dass es neben dem CB1- und CB2-Rezeptor noch weitere Rezeptoren gibt, an denen Cannabinoide wirksam sind.
Die genaue Bedeutung und Funktionsweise dieser Rezeptoren herauszufinden, ist derzeit Gegenstand mehrerer Forschungsarbeiten. Einer der bekanntesten Rezeptoren des erweiterten Endocannabinoidsystems ist der GPR55-Rezeptor. Manchmal wird dieser auch als CB3-Rezeptor bezeichnet. Nun gibt es neue Studienergebnisse, die Aufschluss über einen potenziellen medizinischen Nutzen dieses Rezeptors geben.
Mögliches therapeutisches Ziel bei Herzerkrankungen
Ein deutsches Forschungsteam aus dem Institute for Cardiovascular Prevention (IPEK) untersuchte den Einfluss des GPR55-Rezeptors auf die Regulierung der Herzaktivität. Durch Beobachtungen an Mäusen wurde festgestellt, dass dieser Rezeptor eine zentrale Rolle bei der Aktivität von Herzmuskelzellen und deren Reaktion auf Belastungen spielt. Mäuse ohne GPR55-Rezeptor zeigten eine veränderte Herzaktivität. Vor allem konnte ein Rückgang von destruktiven Umbauprozessen im Herzen durch Einflüsse wie Bluthochdruck festgestellt werden.
Interessanterweise konnte dieser Effekt jedoch nur bei weiblichen Mäusen beobachtet werden. Forscher leiten daraus ab, dass der GPR55-Rezeptor ein therapeutisches Ziel bei hypertensiven Herzerkrankungen sein könnte. Diesen Prozess zu verstehen, könnte zukünftig dabei helfen, Medikamente zu entwickeln, die bestimmte durch den GPR55-Rezeptor vermittelte Aktivitäten im Herz hemmen. Auf diese Weise könnten die schädlichen Langzeitfolgen von Bluthochdruck auf das Herz gemindert werden. Bluthochdruck ist eine Volkskrankheit, die eine Reihe von Folgeschäden mit sich bringt. Eine durch Bluthochdruck ausgelöste hypertensive Krise kann bei entsprechenden Vorerkrankungen auch tödlich enden. Neue Medikamente mit einem unter Umständen effizienteren Wirkmechanismus zu entwickeln, ist daher von großer Bedeutung.
Neue Ansätze in der Krebsbehandlung
Auch verschiedene Krebszellen sind mit GPR55-Rezeptoren ausgestattet. Dort hat dieser Rezeptor einen direkten Einfluss auf das Tumorwachstum. Eine kürzlich veröffentlichte Studie konnte zeigen, dass besonders bei Bauchspeicheldrüsenkrebs das Wachstum maßgeblich durch die Aktivität der dortigen GPR55-Rezeptoren angeregt wird. Durch seine Aktivität werden bestimmte Signalwege und immunologische Prozesse aktiviert, die eine Vermehrung von Krebszellen begünstigen.
Daraus lässt sich ableiten, dass neuartige Wirkstoffe mit einer antagonistischen Wirkung auf den GPR55-Rezeptor das Wachstum von Krebszellen, insbesondere bei Bauchspeicheldrüsenkrebs, hemmen könnten. Zudem kann die Effektivität bereits bekannter Chemotherapeutika durch eine gleichzeitige Hemmung der GPR55-Aktivität erhöht werden. Dies deckt sich mit Erkenntnissen früherer Studien. Auch die körpereigene Immunaktivität gegen Krebszellen könnte durch eine Hemmung des GPR55-Rezeptors verbessert werden. Ferner könnte der Rezeptor als Biomarker für diagnostische Zwecke dienen. Dieses neue Verständnis wichtiger molekularbiologischer Vorgänge im erweiterten Endocannabinoidsystem könnte zukünftig neue Behandlungsansätze in der Krebstherapie ermöglichen.
Potenzial bei Lebererkrankungen
Auch als Regulator bestimmter Lebererkrankungen konnte der GPR55-Rezeptor identifiziert werden. Eine 2024 veröffentlichte Studie zeigte, dass die Antagonisierung von GPR55 eine akute Leberentzündung und Leberfibrose lindern kann. Das Forscherteam entdeckte durch Beobachtungen an Mäusen ein Peptid mit dem Namen P1-1, das eine antagonistische Wirkung am GPR55-Rezeptor aufweist.
Durch diesen Wirkmechanismus kann die Kollagensekretion in hepatischen Sternzellen unterdrückt werden. Diese Zellen spielen eine wichtige Rolle bei der Regeneration der Leber, jedoch kann durch fehlgeleitete Prozesse auch eine Leberfibrose gefördert werden. Genau in diesen Prozessen scheint der GPR55-Rezeptor eine regulierende Rolle zu spielen. Forscher schlagen vor, GPR55-Antagonisten wie P1-1 zukünftig als mögliche Kandidaten zur Behandlung von Leberfibrose zu erwägen.
Verbessertes Verständnis der Oberflächenstruktur
Die genaue Entschlüsselung der Oberflächenstruktur und der daraus resultierenden Signalwege, die durch Substanzen an diesem Rezeptor in Gang gesetzt werden, ist ebenfalls Gegenstand aktueller Forschungen. Stark vereinfacht kann man sich einen Rezeptor wie ein Puzzleteil vorstellen, an das ein passendes Gegenstück andockt. Dabei ist es von der Form des Puzzlestücks abhängig, welches Gegenstück kompatibel ist. Obwohl GPR55 – ähnlich wie die klassischen Cannabinoidrezeptoren – zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren gehört, funktioniert er deutlich anders.
So zeigt beispielsweise das synthetische Cannabinoid AM251 eine antagonistische Wirkung am CB1-Rezeptor, weist jedoch am GPR55-Rezeptor eine agonistische Wirkung auf. Warum das so ist, ist eine entscheidende Frage, wenn man die Funktionsweise dieses Rezeptors verstehen möchte. Unter anderem mit dieser Frage beschäftigte sich ein chinesisches Forschungsteam in einer 2024 veröffentlichten Studie.
Das Team konnte bestimmte Oberflächeneigenschaften des Rezeptors entschlüsseln und auf diese Weise die unterschiedliche Bindung eines Cannabinoids an zwei verschiedene Rezeptoren erklären. Solche Prozesse im Detail zu verstehen, ist die Voraussetzung für die zukünftige Entwicklung neuer, zielgerichteter Medikamente, die am GPR55-Rezeptor wirksam sind.